Sonntag, 7. März 2010

Die Heizung

Ich schreckte von meinem Kant hoch, als treppauf ein Feuerwerk losbrach. Das bedeutete wenigstens Wärmeenergie, die wir hier gebrauchen konnten. Nur ein einziger Chinaböller – zwei und ich wäre überglücklich gewesen. Es gingen sogar Raketen los, nur leider in Imme, dessen eisigen Keller ich bewohnte. Im Nebenzimmer wohnte der Andre. Der hatte sich hochgewagt, Imme mitzuteilen, die Heizung sei kaputt.
Braten- und Zwiebelgeruch wehten ins Treppenhaus, als Imme öffnete. Seine grüne Schürze schrie „get down for the chief“. Der graue Bart, das Furchengesicht, so erzählte der Andre, schienen entflammt zu sein. Imme fragte, was denn sei. Er koche. „Nur ganz kurz“, sprach sanft der Andre. Imme: „Ja, ja. Was?“ „Die Heizung, Herr Imme.“ Was mit der sei, fragte Imme. Der Andre: „Die...“ Ob es Probleme gebe, sagte Imme. „Bei der Bedienung, oder wie meinen?“ Das könne er, der von Technik doch bekanntermaßen keine Ahnung habe, sich kaum vorstellen. Da müsse man reichlich blöd, wenn nicht unfähig... „Sie funktioniert einfach...“, versuchte der Andre sich einzuschalten. Imme: „...sein. So 'was soll'n Frauen machen. Die versteh'n so 'was sicher!“ „...gar nicht.“, der Andre. „Egal, wie sehr man sie aufdreht.“ Erste Knallfrösche: Das könne nicht sein, brüllte Imme. Seine funktioniere doch auch. Beschwert hätten die „jungen Mädels“, die vorher drin gewesen seien, sich nie. Immer habe die Heizung funktioniert. Da habe er selbst „nur 'mal 'reingeguckt“, das sei „tipp-topp“ gewesen. Da begann, erzählte der Andre, sein Buddenbrooksherz zu brechen. Die Raketen! Imme umfasste die linke Schulter des Andren, schrie, ob wir jeck seien. Wer nicht zu heizen verstehe, der solle es gleich lassen. Mit solchen Idioten verkehre er nicht. Einen Installateur werde er auf unsere Kosten beauftragen. „Der wird beweisen, dass ihr die Heizung falsch bedient habt! Und die deshalb kaputt ist! Klar? Deshalb!“ Diese Worte gebe ich exakt wieder, weil ich sie in dieser Deutlichkeit in meinem Arbeits- und Schlafzimmer vernahm. Der Andre berichtete in seiner Detailverliebtheit, dass Immes letzten Ausruf ein Speichelregen begleitete, der den Andren dazu zwang, das Bild des hochroten Greises für eine Sekunde auf seine Netzhaut zu bannen, bevor er die Lider wieder öffnen konnte. Erst in diesem Moment ließ Imme den Andren los.
Imme hyperventilierte. Er sei ein sehr vernünftiger Mensch. Er sei sehr sachlich. Er sei genau. Sein Auge blau, dachte der Andre, wie er mir später erzählte. Ich interessierte mich für solche Germanistik-Insider nicht, doch die Empfindung teilte ich und spürte Sportpalast in der Luft. Ein Pathos, für das mich ein Lachen durchzuckte. Posaunenchor aus einem Grammophon! So eins musste Imme doch noch haben? Wo nur waren die Mengen, wo der Tonbandapplaus?
So apodiktisch meine Gedanken kamen, gingen sie wieder, als Imme, ganz wörtlich, auf die Treppenhausfliesen zu stampfen begann. Dazu skandierte er krächzend und mehrfach, mit jeweils unterschiedlicher Betonung: „Ich lasse das nicht mehr mit mir machen!“ Er fügte hinzu, dass es so nicht mehr gehe. Er koche nun. Er marschierte in seine Wohnung zurück und schlug die Tür mit solcher Wucht zu, dass ich mich später wunderte, aus dem Schallgebilde, das mich erreicht hatte, kein Klirren von Glas herausgehört zu haben.
„So klingt jemand, der sich 'mal rächen müsste“, sagte der Andre, während er sich auf meinem Bett niederließ. „Nur an wem, an wem?“ Ich sagte: „Und wofür?“ Ich hörte, wie Immes Wohnungstür sich öffnete. Fiebernde Schritte treppab, die sich meinem Zimmer näherten. Schnaufend stürzte er herein. „Draußen friert es doch nicht einmal! Ich spiel' nicht länger Ersatzvater hier!“ Nur etwas Heizung, das war er für mich, da er so weiterkochte. Ich zog den Reißverschluss meines Anoraks bis ganz nach oben und blieb in den häuslichen Eisregionen.

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