...

[Habe ich gerade geschrieben. Sozusagen eine 'Rohfassung'. Ich stelle es trotzdem hier mal rein.]

Der Wecker klingelt. Umdrehen auf die Seite, Bettdecke fest an sich pressen. Nach dem Aufstehen ins Bad, das alltägliche Duschen, Zähne putzen, Haare föhnen. Die enge Röhrenjeans aus dem Kleiderschrank holen, die sie sich am Samstag gekauft hatte. Sie war mit ihren drei besten Freundinnen unterwegs gewesen. Sie nimmt ihr himmelblaues Lieblings-Top aus dem Schrank, mit Spaghetti-Trägern, betrachtet sich im Spiegel. Das Handy vibriert. „Hey süße ich wollte dir nur einen schönen morgen wünschen (: du bist die welt für mich ild“. Sie lächelt, ein Sonnenstrahl fällt in ihr Zimmer. Die Mutter ruft. Das Frühstück sei fertig, und der Bus werde bestimmt nicht warten. Schnell schminken, ein Hauch Parfüm „Girl“, Lipglos. Irgendwo muss auch ihr Mathe-Buch sein, überfliegt ihren Schreibtisch, nichts, doch, dort liegt es ja. Die Mutter ruft erneut. „Julia, wo steckst du denn? Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deine Schulschen abends packen?“ Mit der Schultasche über die Schulter gehängt die Treppe heruntereilen. Im Flur ein Kuss von Daddy, der gerade zur Tür herausgeht. Die Mutter schüttet in der Küche schon Milch in die Schüssel mit den Cornflakes. Auch sie gibt ihrer Tochter einen beiläufigen Kuss. Der kleine Bruder merkt an, sie würde in ihrer Hose wie eine Mettwurst aussehen. Ein paar Löffel, danach muss sie mit ihm schon zur Bushaltestelle.
Doppelstunde Mathe. Ein langweiliger Beginn des Schultages. Funktionen werden an der Tafel in ein Koordinatensystem übertragen. Im Flüsterton plant sie mit ihrer Freundin, die neben ihr sitzt, das Wochenende. Hoffentlich sind bald die ersten drei Stunden vorbei. Dann ist große Pause. Dann sieht sie endlich ihren Moritz. Ihre Hand in seiner. Braune Haare. Skaterfrisur. In ihrem Bauch kribbelt es, wenn sie an seinen warmen Mund denkt. Der Lehrer fragt sie etwas. Sie weiß die Antwort nicht, wird ermahnt. Nimmt den Füller in die Hand. Der Tanzkurs am Samstag. Ein Mitschüler fragt den Lehrer etwas. Moritz und seine blauen Augen. Hoffentlich wird die Mathe-Arbeit nicht allzu schwer. Sie schreibt die neue Formel von der Tafel ab. Die Tür geht auf. Sie blickt zum Eingang.

Später, nach dem Amoklauf, werden die Zeitungen berichten, eine Schülerin habe sogar noch ihren Stift in der Hand gehabt, als eine der abgegebenen Kugeln ihr Gesicht zerfetzte.
Die Welt, es gibt sie nicht mehr.
GreenPaladin - 28. Mai, 22:53

Wow

Nicht schlecht... Allerdings finde ich den "Haupttext" teilweise zu abgehackt geschrieben. Ich versteh natürlich, was du damit ausdrücken willst, aber an manchen Stellen war es zu übertrieben.
>Dann ist große Pause. Dann sieht sie endlich ihren Moritz. Ihre Hand in seiner. Braune Haare. Skaterfrisur. In ihrem Bauch kribbelt es, wenn sie an seinen warmen Mund denkt. Der Lehrer fragt sie etwas.<
>Nimmt den Füller in die Hand. Der Tanzkurs am Samstag.< - Die beiden Stellen sind ein bisschen problematisch für mich.
Aber das Ende war echt intensiv und vor allem unerwartet. Eine gute Wendung. Sehr schön.

maudit - 29. Mai, 09:43

Finde ich gar nicht WOW -- sorry. Ich will versuchen zu erklären. Ich finde das Ende billig, auf diese Weise bekommt man jede Geschichte zuende. Wenn das Ende so stehen bleiben soll, muß -- für mich -- eine Verbindung zur Protagonistin hergestellt werden (hegt sie auch Hassgedanken, ist frustiert, etc.? Ist Moritz der Amokläufer?).

Am meisten stört mich aber, daß die Protagonistin so lieblos-oberflächlich beschrieben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich bei Mädels, die anscheinend nur an Jungs und Klamotten denken, nicht auch etwas Abseitiges unter der Oberfläche regt. Das zu erzählen, fände ich spannend, aber auch schwierig. So, wie es im Text steht, werden nur Klischees (Lipglos, der kleine Bruder, Mathe ist Scheiße, etc.) aneinander gereiht -- jaja, das ist meinetwegen beabsichtigt, aber für mich ergibt sich daraus nichts -- das Ende soll dann, diese Hohlheit aufwiegen, indem es auf Schock macht.
herr_urian - 29. Mai, 19:39

Ich glaube schon, dass die Grundidee des Textes bzw. ihn so aufzulösen funktionieren k a n n. Nur muss dann der erste Teil (zumindest als Ausschnitt) in sich funktionieren. Dafür wiederum, glaube ich, ist der an manchen Stellen zu kitschig, bedient sich zu vieler Klischees (z.B. "Mathe als Hassfach", "Lieblingstop", "Freundinnen gehen zusammen einkaufen").

Marcel Stefan - 29. Mai, 21:02

danke für eure Kommentare (:
Stimmt, ich arbeite (zu?) viel mit Klischees. Aber gerade diese Allgemeinheit, Oberflächlichkeit wollte ich auch haben: irgendein alltäglicher Teenager, dessen Welt das nächste Wochenende und die kommende Klassenarbeit ist - plötzlich tot. Dieser Einfall des Undenkbaren in die Alltäglichkeit.

maudit - 30. Mai, 01:40

"Dieser Einfall des Undenkbaren in die Alltäglichkeit": klar, verstehe, sollte man unbedingt versuchen sprachlich zu fassen. (Altenberg schreibt:
"Hattest nie Sorge um Hof und Haus! Leben und Traum vom Leben, plötzlich ist alles aus". Oder: in der Schule lasen wir Stig Dagerman, mitnichten einer meiner Favoriten, aber dennoch: http://www.stedefeldt.de/EinKindT%F6ten.htm) Aber ich denke, dass es dazu nicht eines Amoklaufs bedarf, es könnte ein Unfall sein, usw. Der Amoklauf ist mir zu unwahrscheinlich, hat zu sehr Deus-ex-machina-Beigeschmack und evoziert zugleich den ganzen Dunstkreis des Moralischen, der ihn umgibt.
albannikolaiherbst - 13. Jun, 10:53

@Marcel Stefan zur „Urfassung“.

Der Wecker klingelt. Umdrehen auf die Seite, Bettdecke fest an sich pressen.

:Durch die quasi-Substantivierung („Umrehen“) wird gleich der Anfang unsinnlich, der Text wird unnötig sperrig.

Nach dem Aufstehen ins Bad, das alltägliche Duschen

:tausendfach gelesen und dann noch durch das „alltäglich“ selbst gesagt; Sie brauchen hier Tempo.

, Zähne putzen, Haare föhnen. Die enge Röhrenjeans

Röhrenmjeans s i n d eng, also ist das Adjektiv redundant

aus dem Kleiderschrank holen, die sie sich am Samstag gekauft hatte.

:Hier haben Sie das Problem, daß Sie durch Formlierungen wie „umdrehen auf die andere Seite“ eigentlich eine Ich-Erzählung initiieren; wenn der Perspektivwechsel dann so schnell kommt, läßt auch d a s einen aus der Lektüre fallen. Es stellt sich kein Kontinuum der Geschichte her.

Sie war mit ihren drei besten Freundinnen unterwegs gewesen. Sie nimmt ihr himmelblaues Lieblings-Top aus dem Schrank, mit Spaghetti-Trägern, betrachtet sich im Spiegel. Das Handy vibriert. „Hey Süße KOMMA ich wollte dir nur einen schönen morgen wünschen (: du bist die welt für mich ild“. Sie lächelt, ein Sonnenstrahl fällt in ihr Zimmer. Die Mutter ruft. Das Frühstück sei

seltsames (wenn auch völlig richtiges) „sei“ hier

fertig, und der Bus werde bestimmt nicht warten. Schnell schminken, ein Hauch Parfüm „Girl“, Lipglos. Irgendwo muss auch ihr Mathe-Buch sein,

:das Mathebuch?:

überfliegt ihren Schreibtisch, nichts, doch, dort liegt es ja. Die Mutter ruft erneut. „Julia, wo steckst du denn? Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deine Schulsachen abends packen?“ Mit der Schultasche über die der Schulter gehängt die Treppe heruntereilen

: nein, hinnter....

Im Flur ein Kuss von Daddy, der gerade zur Tür herausgeht. Die Mutter schüttet in der Küche schon Milch in die Schüssel mit den Cornflakes. Auch sie gibt ihrer Tochter einen beiläufigen Kuss:

schöner wäre: „beiläufig einen Kuß“

. Der kleine Bruder merkt an, sie würde in ihrer Hose wie eine Mettwurst aussehen

:das ist g a n z unschön, diese „würde“-Formulierung, zumal sie eigentlich verlangt, daß eine Bedingung folgt („würde... wenn...“).

Ein paar Löffel, danach muss sie mit ihm

mit dem Löffel?

schon zur Bushaltestelle.
Doppelstunde Mathe. Ein langweiliger Beginn des Schultages.


Sie rufen hier die Spötter herbei, die die Langeweile dem Text, nicht dem Schultag zuschieben. Vorsicht vor Eigentoren!

Funktionen werden an der Tafel in ein Koordinatensystem übertragen. Im Flüsterton plant sie mit ihrer Freundin, die neben ihr sitzt, das Wochenende. Hoffentlich sind bald die ersten drei Stunden vorbei. Dann ist große Pause. Dann sieht sie endlich ihren Moritz. Ihre Hand in seiner. Braune Haare. Skaterfrisur. In ihrem Bauch kribbelt es

:ganz ganz kindlich...

, wenn sie an seinen warmen Mund denkt. Der Lehrer fragt sie etwas. Sie weiß die Antwort nicht, wird ermahnt. Nimmt den Füller in die Hand. Der Tanzkurs am Samstag. Ein Mitschüler fragt den Lehrer etwas. Moritz und seine blauen Augen. Hoffentlich wird die Mathe-Arbeit nicht allzu schwer. Sie schreibt die neue Formel von der Tafel ab. Die Tür geht auf. Sie blickt zum Eingang.

Das Folgende ist s e h r aufgesetzt, s e h r gewollt, herbeigebrochen. Es bringt auch gar nichts. Erzählt wird von dem ganz normalen, unaufregenden Leben einer jungen Frau, die eigentlich noch Mädchen ist, und wie sie dann herausgerissen wird. Viel interessanter wäre die Täterperspektive, weil d i e ein Wagnis wäre. Das hier reduziert sich auf ein „O je, wir schrecklich“. Ich glaube nicht, daß das Ihre Absicht ist.

Später, nach dem Amoklauf, werden die Zeitungen berichten, eine Schülerin habe sogar noch ihren Stift in der Hand gehabt, als eine der abgegebenen Kugeln ihr Gesicht zerfetzte.
Die Welt, es gibt sie nicht mehr.


Und dann: Nein, das stimmt so eben nicht. Die Welt gibt es nach wie vor. Es gibt sie weiter. Der Skandal ist doch eher d e r... Nach einem Jahr werden alle, die nicht direkt und eng mit ihr in Kontakt waren, sie vergessen haben, nach zehn Jahren hat es sie n i e gegeben. Wenn man an solch einen Stoff geht, muß man sich vor allem einmal d a s vergegenwärtigen, sich der Härte aussetzen. S o bleibt der Text auf dem Niveau alles Beliebigen, imgrunde tut er dem Opfer ein zweites Mal Unrecht an. Indem er es zu einer Schreibübung marginalisiert.

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