Die Heizung

Ich schreckte von meinem Kant hoch, als treppauf ein Feuerwerk losbrach. Das bedeutete wenigstens Wärmeenergie, die wir hier gebrauchen konnten. Nur ein einziger Chinaböller – zwei und ich wäre überglücklich gewesen. Es gingen sogar Raketen los, nur leider in Imme, dessen eisigen Keller ich bewohnte. Im Nebenzimmer wohnte der Andre. Der hatte sich hochgewagt, Imme mitzuteilen, die Heizung sei kaputt.
Braten- und Zwiebelgeruch wehten ins Treppenhaus, als Imme öffnete. Seine grüne Schürze schrie „get down for the chief“. Der graue Bart, das Furchengesicht, so erzählte der Andre, schienen entflammt zu sein. Imme fragte, was denn sei. Er koche. „Nur ganz kurz“, sprach sanft der Andre. Imme: „Ja, ja. Was?“ „Die Heizung, Herr Imme.“ Was mit der sei, fragte Imme. Der Andre: „Die...“ Ob es Probleme gebe, sagte Imme. „Bei der Bedienung, oder wie meinen?“ Das könne er, der von Technik doch bekanntermaßen keine Ahnung habe, sich kaum vorstellen. Da müsse man reichlich blöd, wenn nicht unfähig... „Sie funktioniert einfach...“, versuchte der Andre sich einzuschalten. Imme: „...sein. So 'was soll'n Frauen machen. Die versteh'n so 'was sicher!“ „...gar nicht.“, der Andre. „Egal, wie sehr man sie aufdreht.“ Erste Knallfrösche: Das könne nicht sein, brüllte Imme. Seine funktioniere doch auch. Beschwert hätten die „jungen Mädels“, die vorher drin gewesen seien, sich nie. Immer habe die Heizung funktioniert. Da habe er selbst „nur 'mal 'reingeguckt“, das sei „tipp-topp“ gewesen. Da begann, erzählte der Andre, sein Buddenbrooksherz zu brechen. Die Raketen! Imme umfasste die linke Schulter des Andren, schrie, ob wir jeck seien. Wer nicht zu heizen verstehe, der solle es gleich lassen. Mit solchen Idioten verkehre er nicht. Einen Installateur werde er auf unsere Kosten beauftragen. „Der wird beweisen, dass ihr die Heizung falsch bedient habt! Und die deshalb kaputt ist! Klar? Deshalb!“ Diese Worte gebe ich exakt wieder, weil ich sie in dieser Deutlichkeit in meinem Arbeits- und Schlafzimmer vernahm. Der Andre berichtete in seiner Detailverliebtheit, dass Immes letzten Ausruf ein Speichelregen begleitete, der den Andren dazu zwang, das Bild des hochroten Greises für eine Sekunde auf seine Netzhaut zu bannen, bevor er die Lider wieder öffnen konnte. Erst in diesem Moment ließ Imme den Andren los.
Imme hyperventilierte. Er sei ein sehr vernünftiger Mensch. Er sei sehr sachlich. Er sei genau. Sein Auge blau, dachte der Andre, wie er mir später erzählte. Ich interessierte mich für solche Germanistik-Insider nicht, doch die Empfindung teilte ich und spürte Sportpalast in der Luft. Ein Pathos, für das mich ein Lachen durchzuckte. Posaunenchor aus einem Grammophon! So eins musste Imme doch noch haben? Wo nur waren die Mengen, wo der Tonbandapplaus?
So apodiktisch meine Gedanken kamen, gingen sie wieder, als Imme, ganz wörtlich, auf die Treppenhausfliesen zu stampfen begann. Dazu skandierte er krächzend und mehrfach, mit jeweils unterschiedlicher Betonung: „Ich lasse das nicht mehr mit mir machen!“ Er fügte hinzu, dass es so nicht mehr gehe. Er koche nun. Er marschierte in seine Wohnung zurück und schlug die Tür mit solcher Wucht zu, dass ich mich später wunderte, aus dem Schallgebilde, das mich erreicht hatte, kein Klirren von Glas herausgehört zu haben.
„So klingt jemand, der sich 'mal rächen müsste“, sagte der Andre, während er sich auf meinem Bett niederließ. „Nur an wem, an wem?“ Ich sagte: „Und wofür?“ Ich hörte, wie Immes Wohnungstür sich öffnete. Fiebernde Schritte treppab, die sich meinem Zimmer näherten. Schnaufend stürzte er herein. „Draußen friert es doch nicht einmal! Ich spiel' nicht länger Ersatzvater hier!“ Nur etwas Heizung, das war er für mich, da er so weiterkochte. Ich zog den Reißverschluss meines Anoraks bis ganz nach oben und blieb in den häuslichen Eisregionen.
sho-shan-nah - 8. Mär, 17:16

Hey,

was mir an diesem Text gefällt, sind seine Alltäglichkeit und Möglichkeit, die -leider- etwas zu bemüht auf ein literarisches Niveau gehievt wurden.
Ich finde viele Wendungen schön und nachahmenswert, etwa "seine grüne Schürze schrie", "Ich spiel' nicht länger Ersatzvater hier", "ein Speichelregen begleitete"...
Andere jedoch machen den Text schwerfällig und (zu) abgehoben: Die Unart, einen Philosophen oder Schriftsteller als den Seinen zu bezeichen. Dann: Was sind apodiktisch kommende Gedanken? Wie kann man was auf seine Netzhaut bannen? Warum heisst der Mann Imme? Auch das Andre (irgendwo "den Andren") kommt nicht so natürlich, genausowenig wie der gekreuzte Dialog.
Weiss ja nun nicht, was du von deinem Text erwartest/willst. Persönlich würde ich ihm ein wenig Gewicht nehmen.

Pierre Lachaise - 12. Mär, 22:13

@urian

für meinen geschmack ist der text über weite strecken hervorragend gelungen. ich finde auch nicht, dass er zu sehr um literarische qualität "bemüht" ist, sondern en gros dem selbst gesetzten literarischen anspruch gerecht wird. schon am anfangssatz habe ich persönlich nichts auszusetzen, da er in seiner quasi ostentativen verwendung der metonymisch-synekdochischen konstruktion "seinen kant lesen" m.e. auf ironischem terrain operiert. auch viele andere formulierungen tragen dieses doppeldeutig-ironische potential in sich, z.b. der name "imme" ,den man, wenn man ihn einen moment bedenkt, nicht nur als proletarische variante von "immanuel" begreifen muss.
auszusetzen ist allenfalls, dass das szenische element dieses textes, das ja der gekreuzte dialog besonders hervorkehren möchte, ihn eventuell als kurzgeschichte oder prosagedicht, jedenfalls als kurztext disqualifiziert. ich sehe in dem hier beschriebenen an sich eher dramatische qualität, oder aber die möglichkeit, in einen bestimmten zusammenhang, etwa den einer etwas größer dimensionierten short story oder einer erzählung, eingebunden zu werden.

albannikolaiherbst - 7. Apr, 11:25

@Herr Urian zu Die Heizung

Dieser Text übersteigert die Mittel, ohne doch tatsächlich das Absurde, bzw. Surreale zu erreichen, das aber – als verspottende Überhöhung einer miesen Wirklichkeit – erreicht werden müßte. Sie verfilzen sich immer wieder. Dazu kommt die seltsame „Hoch/heit” des „Anderen”. Weshalb geben Sie ihm nicht einen einfachen Namen? Was bringt es Ihnen, einen „Anderen” als quasi-Gott/Godot hochzuübermetzen? Dazu kommen eine Reihe von mißglückten oder versehentlich-komischen Formlierungen. Mal im einzelnen:
Ich schreckte von meinem Kant Was ist mir „Kant” gemeint? Immanuell? hoch, als treppauf ein [das] Feuerwerk losbrach. Das bedeutete wenigstens Wärmeenergie, die wir hier gebrauchen konnten
: Sinnfehler, weil Hitze nach oben steigt; das könnte man aber herumdrehen, so daß in einer näheren Bestimmung „treppauf” überhaupt erst erzählt würde
. Nur ein einziger Chinaböller – zwei und ich wäre

Wieso „wäre”? Das Feuerwerk i s t doch...
überglücklich gewesen. Es gingen sogar Raketen los, nur leider in Imme

Dann explodiert der Mann und kann danach ganz sicher nicht mehr sprechen.
, dessen eisigen Keller ich bewohnte. Im Nebenzimmer wohnte der Andre. Der hatte sich hochgewagt, [um] Imme mitzuteilen, die Heizung sei kaputt.
Braten- und Zwiebelgeruch wehten ins Treppenhaus, als Imme öffnete
:
Wer erzählt das jetzt? Wenn „ich” erzählt, wieso weiß er, was ins Treppenhaus weht?
. Seine grüne Schürze schrie „get down for the chief“. Der graue Bart, das Furchengesicht, so erzählte der Andre, schienen

entweder Bart und Furchengesicht & „schienen”, oder Bart[Komma] Furchengesicht & „schien”
entflammt zu sein. Imme fragte, was denn sei. Er koche

:Komisch, ich hatte einen Bedeutungslesefehler hier: dachte, „koche” meine „sei wütend”; vielleicht klarer formulieren. Und dann s c h n e l l e r erzählen:
„Nur ganz kurz“, sprach sanft der Andre. Imme: „Ja, ja. Was?“ „Die Heizung, Herr Imme.“ Was mit der sei

Wirkt zu gestelzt bei einem wie Imme, der doch eher sagen würde: „Was is’n damit?”
, fragte Imme. Der Andre: „Die...“ Ob es Probleme gebe, sagte Imme. „Bei der Bedienung, oder wie meinen?“ Das könne er, der von Technik doch bekanntermaßen keine Ahnung habe, sich kaum vorstellen. Da müsse man reichlich blöd, wenn nicht unfähig...

: Dies ist Stelz. Bitte die Niveau-Ebenen beachten.
„Sie funktioniert einfach...“, versuchte der Andre sich einzuschalten. Imme: „...sein.

Die Verschränkung beider zugleichSprechender funktioniert nicht, sondern wirkt unglücklich verkantet.
So 'was soll'n Frauen machen. Die versteh'n so 'was sicher!“ „...gar nicht.“, der Andre. „Egal, wie sehr man sie aufdreht.“ Erste Knallfrösche:

Welche Funktion hat der Doppelpunkt hier? Reicht nicht der angespielte Fehlbezug schon aus (Knallfrösche könnten nicht sein)?
Das könne nicht sein, brüllte Imme. Seine funktioniere doch auch. Beschwert hätten die „jungen Mädels“, die vorher drin gewesen seien, sich nie. Immer habe die Heizung funktioniert. Da habe er selbst „nur 'mal 'reingeguckt“, das sei „tipp-topp“ gewesen. Da begann, erzählte der Andre, sein Buddenbrooksherz

Was will „Buddenbrooksherz” sagen?
zu brechen. Die Raketen! Imme umfasste die linke Schulter des Andren, schrie, ob wir jeck seien. Wer nicht zu heizen verstehe, der solle es gleich lassen. Mit solchen Idioten verkehre er nicht.

Satz umstellen: Er werda auf unsere Kosten einen Installateur... Bei so schnellen Geschichten das Wichtigste zuerst im Satz nennen; merken Sie sich das als Faustregel.
Einen Installateur werde er auf unsere Kosten beauftragen. „Der wird beweisen, dass ihr die Heizung falsch bedient habt! Und [daß] die deshalb kaputt ist! Klar? Deshalb!“

Das nächste ist Gelaber:
Diese Worte gebe ich exakt wieder, weil ich sie in dieser Deutlichkeit in meinem Arbeits- und Schlafzimmer vernahm. Der Andre berichtete in seiner Detailverliebtheit, dass Immes letzten Ausruf ein Speichelregen begleitet[ hab]e, der den Andren dazu zwang,

das nächste h i e r ist Blödelei: das Bild des hochroten Greises für eine Sekunde auf seine Netzhaut zu bannen, bevor er die Lider wieder öffnen konnte. Erst in diesem Moment ließ Imme den Andren los.
Imme hyperventilierte. Er sei ein sehr vernünftiger Mensch. Er sei sehr sachlich. Er sei genau. Sein Auge blau, dachte der Andre, wie er mir später erzählte. Ich interessierte mich für solche Germanistik-Insider nicht, doch die Empfindung teilte ich und spürte

D a s allerdings ist rätselhaft schön: Sportpalast in der Luft. Ein Pathos
Viel schneller hier! „Ein Pathos. Ich lachte auf.
, für das mich ein Lachen durchzuckte. Posaunenchor aus einem Grammophon! [Wann kam] So eins musste Imme doch noch haben? Wo nur waren die Mengen, wo der Tonbandapplaus?
So

Wortniveau paßt nicht:
apodiktisch meine Gedanken kamen, gingen sie wieder, als Imme, ganz wörtlich, auf die Treppenhausfliesen zu stampfen begann

Kann man auch unwörtlich stampfen? Zu selbstgefällig konstruiert.
Dazu skandierte er krächz[t]e [er] nd und mehrfach, mit jeweils unterschiedlicher Betonung: „Ich lasse das nicht mehr mit mir machen!“ Er fügte hinzu, dass es so nicht mehr gehe. Er koche nun
also: sei wütend! Siehe oben.
. Er marschierte in seine Wohnung zurück und schlug die Tür mit solcher Wucht zu, dass ich mich später wunderte

gestelzt, umständlich, ohne Eleganz:
, aus dem Schallgebilde, das mich erreicht hatte, kein Klirren von Glas herausgehört zu haben.
„So klingt jemand, der sich 'mal rächen müsste“, sagte der Andre, während er sich auf meinem Bett niederließ. „Nur an wem, an wem?“ Ich sagte: „Und wofür?“ Ich hörte, wie Immes Wohnungstür sich öffnete. Fiebernde Schritte [
Prädikat muß her] treppab, die sich meinem Zimmer näherten. Schnaufend stürzte er herein. „Draußen friert es doch nicht einmal! Ich spiel' nicht länger Ersatzvater hier!“ Nur etwas Heizung, das war er für mich, da er so weiterkochte
abermals: „kochen”
. Ich zog den Reißverschluss meines Anoraks bis ganz nach oben und blieb in den häuslichen Eisregionen

: Ihnen ist bewußt, daß dies ein verschliffenes Kafkazitat ist?.

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