Zug

Der Zug fährt an. Einige Sekunden davor ein leichtes Vibrieren der Sitze, fast unmerklich. Wer schon lange fährt, Erfahrung hat, kann es spüren. Dann ein Ruck, die Landschaft setzt sich in Bewegung. Die Geschwindigkeit steigert sich, bis zu einem bestimmten Level, über das sie nicht hinauskommt, gleich einer unsichtbaren Wand, die der Zug nicht durchdringen kann. Auch er ist gefangen. Er kann nicht ausbrechen, er folgt den Schienen, muss ihnen folgen. Wie das unentrinnbare Schicksal liegen sie vor ihm. Fahren, fahren, immer nur fahren. Weite Felder kommen in Sichtweite, näher, durch sie hindurch, verschwunden. Orte, Bilder sind bekannt, flüchtig, wie jemand, der hier und da in das Leben tritt, ohne je eine Hauptrolle zu spielen. Niemand, sich anzuvertrauen. Der Zug bremst, veliert an Geschwindigkeit, ein Bahnhof liegt in Sichtweite. Halt. Leute verabschieden sich, steigen aus, andere, neue Gesichter kommen hinzu. Dann das alles wieder von vorne. Anfahren, beschleunigen, durch die Landschaft, bremsen, anhalten, stehen. Immer und immer wieder. Wie ein Zirkel. Wie ein Fluch. Unterwegs sein, ohne anzukommen. Ankommen, ohne bleiben zu dürfen.

Ich sitze am Fenster, schaue in die bewegte Landschaft vor mir. Schräg links mir gegenüber einer jener gesichtslosen Fahrgäste. Wir tun so, als würde der andere nicht existieren, als seien wir allein in diesem Zug. Ich bin es auch. Allein unter all diesen Menschen.
Ich achte nicht mehr darauf, was draußen zu sehen ist, ob es ein Haus, ein Baum, eine vielbefahrene Straße ist, was da vorübergleitet. Ich sehe nur die Bewegung. Das Denken wie gelähmt.
Eine Wiese. Leuchtend grün. Große Bäume mit weit ausholenden Ästen. Wir könnten da im Schatten liegen, auf einer leichten Wolldecke. Kühlen Sekt und süße Trauben neben uns. Dazu vielleicht einer dieser großen Picknick-Koffer aus hellbraunem Flechtwerk. Wir könnten da draußen sein, wir würden das Gras riechen und das Salz, das in der Luft liegt. Der Boden fest und feucht unter uns. In diesem Gemälde sein, statt es nur zu betrachten. Es könnte Sommer sein.
Ich fühle mich wie eine Pflanze, die ein dummer Junge aus ihrem Erdreich buddelte. Meine Wurzeln, zerrissen, sie wollen zurück. Sie liegen an der Luft, ohne Wasser, fremd die Welt außenher. Fremd und falsch. Ich weiß jetzt, was ich empfinde. Es ist Mangel. Ein Gefühl des Fehlens. Ein Stück meiner Welt, lebensnotwendig, ist verloren gegangen. Es fehlt und fehlt und wächst nicht nach.
albannikolaiherbst - 18. Mai, 10:57

@Marcel Stefan zu "Zug".

Der Zug fährt an. Einige Sekunden davor ein leichtes Vibrieren der Sitze

das nächste ist redundant:

, fast unmerklich. Wer schon lange fährt

:wie das? Der Zug fuhr doch gerade erst an, wie kann man da schon lange gefahren sein? Ungenau, auch wenn die Erklärung danach zuspitzt:

, Erfahrung hat, kann es spüren. Dann ein Ruck, die Landschaft setzt sich in Bewegung.

Die Landschaft wohl nicht. Man weiß, was Sie meinen, aber es ist hier ganz unnötig, auf eine Wahrnehmung abzustellen, die vom Bewußtsein längst korrigiert ist.

Die Geschwindigkeit steigert sich, bis zu einem bestimmten Level

wieso "bestimmten", wenn danach erklärt ist, welchem? Und auch "Level" stimmt hier nicht. "Geschwindigkeitslevel": wozu das?

, über das sie nicht hinauskommt, gleich einer unsichtbaren Wand, die der Zug nicht durchdringen kann.

:Bild stimmt nicht. Geschwindigkeit als Wand.

Auch er ist gefangen.

Und dasselbe in Verdoppelung:

Er kann nicht ausbrechen, er folgt den Schienen, muss ihnen folgen.

Wieso folgt er ihnen? Laufen sie vorweg? Außerdem fährt er auf ihnen.

Wie das unentrinnbare Schicksal liegen sie vor ihm.

:Aua.

Fahren, fahren, immer nur fahren.

Ist er nicht genau dafür in den Zug eingestiegen? Was klagte er, wenn der Zug n i c h t führe?

Weite Felder kommen in Sichtweite

weite in Weite

, näher, durch sie hindurch, verschwunden.

W a s verschwindet?

Orte, Bilder sind bekannt, flüchtig,

bekannt oder flüchtig? Und w e n n (allgemein, was eben auch der Fall ist) bekannt, weshalb sie dann ausführen?

wie jemand, der hier und da in das Leben tritt, ohne je eine Hauptrolle zu spielen.

Hm. "Hier und da in das Leben treten." Dazwischen ist er tot? Und tritt man ins Leben?

Niemand

"da"? Und: "ihm"

, sich anzuvertrauen

. Der Zug bremst, verliert an Geschwindigkeit

klar, da er ja bremst.

, ein Bahnhof liegt in Sichtweite. Halt. Leute verabschieden sich, steigen aus, andere, neue Gesichter kommen hinzu. Dann das alles wieder von vorne.

Eben nicht das alles, sondern etwas anderes, das dem Vorigen bloß sehr ähnelt.

Anfahren, beschleunigen, durch die Landschaft, bremsen, anhalten, stehen. Immer und immer wieder. Wie ein Zirkel.

Das hieße, das der Zug im Kreis fährt und der Reisende eine Rundfahrt macht.

Wie ein Fluch.

Ich verstehe nicht, was daran ein Fluch i s t. Der Zug tut doch genau, was der Reisende von ihm erwartet: nämlich ihn irgendwo hinzubringen. Ein Fluch wäre allenfalls, brächte er ihn an k e i n e n Ort oder gar einen anderen, sagen wir: furchtbaren Ort, den zu betreten der Reisende nicht vorgehabt hatte.

Unterwegs sein, ohne anzukommen. Ankommen, ohne bleiben zu dürfen.

Der Grund dieser Klage ist aus dem Erzählten auch nicht zu verstehen. Der Zug kommt erstens, wie erzählt, dauernd an, und dann, wenn der Reisende an einem der Orte bleiben wollte, könnte er doch aussteigen. Tut er aber nicht, sondern bleibt sitzen, nämlich offenbar, weil er ein anderes Ziel hat.

Ich sitze am Fenster, schaue in die bewegte Landschaft vor mir. Schräg links mir gegenüber einer jener

jener?

gesichtslosen Fahrgäste.

Mal im Ernst: Sie wollen doch etwas anderes sagen, als daß der Fahrgast kein Gesicht habe; Sie meinen "gesichtslos" metaphorisch. Nur w e n n Sie das meinen, muß da etwas her, das die gemeinte Gesichtslosigkeit anders spezifiziert als bloß über eine abgegriffene Phrase.

Wir tun so, als würde der andere nicht existieren,

inwiefern? D a s wiederum ist nachvollziehbar:

als seien wir allein in diesem Zug.

Aber es muß "als wären heißen: Konjunktiv II, Irrealis: weil es eben nicht so ist.

Ich bin es auch. Allein unter all diesen Menschen.
Ich achte nicht mehr darauf, was draußen zu sehen ist, ob es ein Haus, ein Baum, eine vielbefahrene Straße ist, was da vorübergleitet. Ich sehe nur die Bewegung. Das Denken wie gelähmt.
Eine Wiese. Leuchtend grün. Große Bäume mit weit ausholenden Ästen. Wir


"Wir"?

könnten da im Schatten liegen, auf einer leichten Wolldecke. Kühlen Sekt und süße Trauben neben uns. Dazu vielleicht einer

Nein! sondern "einen"; Achtung: Grammatik!

dieser großen Picknick-Koffer aus hellbraunem Flechtwerk. Wir könnten da draußen sein, wir würden das Gras riechen und das Salz, das in der Luft liegt.

"Salz" ist hier sehr schön; ich weiß aber nicht, wie Sie auf Salz in der Luft kommen, wenn vorher dauernd nur von Wiesen und Feldern die Rede war.

Der Boden fest und feucht unter uns. In diesem Gemälde sein, statt es nur zu betrachten. Es könnte Sommer sein.
Ich fühle mich wie eine Pflanze, die ein dummer Junge aus ihrem Erdreich buddelte.


:Das ist nun wirklich kein schönes Bild, zumal mit dem Wort "buddeln", das einen sofort die Szene des buddelnden Kindes imaginieren läßt, mit dem das Folgende dann aber wieder nicht übereins geht:

Meine Wurzeln, zerrissen, sie wollen zurück.

"Wurzeln" wollen? Oder wollen S i e?

Sie liegen an der Luft, ohne Wasser, fremd die Welt außenher. Fremd und falsch. Ich weiß jetzt, was ich empfinde. Es ist Mangel.

Unschön:

Ein Gefühl des Fehlens. Ein Stück meiner Welt, lebensnotwendig, ist verloren gegangen. Es fehlt und fehlt und wächst nicht nach.

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