oktober II

wessen wärme
in den zimmern?
wessen ferne
in den wipfeln?
wessen öde
in den straßen?
wessen röte
in den gärten?
herr_urian - 28. Dez, 00:57

@pierre - oktober ii

In dieser Version gehn für mich die rhythmischen Reize der Erstfassung verloren. Darüber hinaus weiß ich nicht, ob die Wiederholung der Syntax von Vorteil ist.
Auch ist mir die zuvor empfundene Bewegung nicht mehr nachvollziehbar.

Dieses Gedicht wirkt ganz anders als das erste "oktober". Wegen der festen Form, der "festen" Assonanzen. Das müsste, finde ich, noch an irgendeiner Stelle gestört werden. Was mir spontan einfiel:

[...]
wessen röte
im garten?

Das durchbräche Plural und Hebungszahl, triebe das Assonanzenspiel hingegen auf die Spitze.

Pierre Lachaise - 2. Jan, 23:17

@H. Urian

Danke für deine Kritik. Ich finde es sehr erfreulich, dass wir alle hier nach wie vor so produktiv miteinander diskutieren. Bei deinem Kommentar ist mir aufgefallen, dass du meinen Text sehr stark - oder im Grunde überhaupt nur - an der vorherigen Fassung misst. Du beurteilst das jetzige Gedicht quasi danach, was es nicht mehr ist, aber nicht danach, was es denn nun eigentlich ist. Findest du, generell, dass es einem Text gerecht werden kann, ihn an seinen Arbeitsversionen zu messen?
Zu meiner Verteidigung möchte ich sagen: Die jetzige Fassung versucht einerseits, dem, was borher bloße Tendenz war, mehr Kraft zu verleihen. Dabei habe ich mich vor allem auf den Aspekt des "Miniaturhaften" konzentriert, um den von ANH bemängelten "Kitsch"-Faktor zu verringern. Darüber hinaus ist die metrisch-rhythmische Struktur aber noch immer (fast) dieselbe. Ich erinnere mich auch, dass du bei der vorherigen Fassung für ein durchgängig alternierendes Metrum plädiert hast. Voilà! Für ein so kurzes Gedicht sind rhythmische oder syntaktische Brüche nicht unbedingt von Vorteil. Es kann funktionieren (bei Goethe), aber vieles Romantisches beispielsweise verzichtet auf äußere Brüche zugunsten einer tieferen Innigkeit.

herr_urian - 3. Jan, 11:40

@pierre

@ "Arbeitsversionen als Maß": Das finde ich keineswegs, obwohl ein Vergleich an sich natürlich legitim und fruchtbringend ist.
Vermutlich habe ich mich schlecht ausgedrückt: Eher wollte ich die Entwicklung des Textes kommentieren als eine Rangfolge der Fassungen erstellen. Ich finde die zweite nicht "schlechter", aber sie wirkt, das schrieb ich bereits, ganz anders als die erste.

An der zweiten hätte ich unabhängig von der Erstfassung zu kritisieren, dass das feste Metrum in Kombination mit der festen Syntax auf mich eher steril, reizlos wirkt. Würde das irgendwie durchbrochen, gewänne, meine ich, das Gedicht enorm.

@ Kurzgedichte der Romantik: Das stimmt natürlich, aber im Unterschied zu deinem Gedicht arbeiten solche meistens mit echten Reimen und außerdem mit veränderlicher Syntax.
Fester Reim und festes Metrum reichen aus, damit ein Gedicht "steht". Ein festes Metrum a l l e i n m.E. nicht.
Pierre Lachaise - 3. Jan, 22:09

@Urian

"Ein festes Metrum a l l e i n m.E. nicht."

Da würde ich generell widersprechen. Es gibt Gedichte, die über ein einheitliches Metrum verfügen, aber auf Reime gänzlich verzichten (sehr schön z.B. Rilke: "An der sonngewohnten Straße..."). Trotzdem schließt das nicht aus, dass du mit dieser Behauptung in Bezug auf meinen Text recht hast. Ich werde über das Metrum noch einmal nachdenken, obwohl ich finde, dass Bruch mit Formalismen als Selbstzweck genausowenig trägt wie sturer Formalismus. Ich sähe hier einfach keinen Grund, warum ich aus dem einmal gewählten Formschema ausbrechen sollte, zumal der Text so kurz (eigentlich ein gestreckter Vierzeiler) ist. Vielleicht wird ANH ein salomonisches Urteil sprechen...

Valivarius - 4. Jan, 00:58

@Diskussion

Sonderbarerweise wirkt das Gedicht so für mich weniger abgeschlossen, als in seiner ersten Fassung. Ja, die Form könnte man geschlossener nennen und darum steril. Mir scheint, dass hier Form u n d Inhalt zusammen erst eine Art von Fortsetzbarkeit des Gedichts vermitteln.
Während man bei der letzten Version die letzten zwei Verse als eine abschließende Bewegung lesen konnte, die den Gärten und Alleen ihre nachhallende Wirkung gab, ist die letzte Frage so gleich-gültig, wie die anderen. Mit gleich-gültig meine ich, dass sie sich von den anderen nicht wesentlich abhebt. Es gibt die Klammer von Wärme und Röte, zugleich die Halbreime Wärme-Ferne und Öde-Röte, sodass alles schön vernetzt ist – daran hängt es nicht. Es hängt an den Orten: Klar kennt man den sehnsuchtsvollen Blick über die Wipfel der Bäume. Man kennt auch die (Ein)Öde in den Straßen, vor allem nachts (und in Heidelberg). Beides erweckt ein Gefühl, das am Inneren zehrt. Man kennt die angenehme Wärme (von anderen Menschen oder auch nur von der Heizung) im Innern eines Hauses und die Röte eines Sonnenuntergangs (oder vielleicht einer Mädchenwange?) kennt man auch. Aber die Reihenfolge der Orte reizt die Wessensfrage nicht aus, lässt keine Entwicklung in dieser Bewessentheit entdecken und wird darum „relativ irrelevant“. Wessen könnte auch bei noch einigen weiteren oder bei weniger Dingen angewandt werden. Und schließlich könnte man sich fragen: wozu wessen? Ich glaube nicht, dass du hier einen bärtigen Gott über dem Geschehen ansetzen willst. Ich glaube genauso wenig, dass du ein philosophisches Grundproblem der Erkenntnistheorie behandeln wirst. Und eben darum glaube ich, dass in der Wahl der Gegenstände, denen „abstrakte Gefühle“ wie Ferne und Öde, sowie Sinnesreize wie Wärme und Röte zugeordnet werden, noch etwas rauszuholen ist. Es muss keine Änderung der Form sein. Ich habe sogar die Vermutung, dass es am lohnendsten sein könnte die Wipfel zu ersetzen (sollen die Bäume zuletzt doch fallen, wie es Urian prophezeite?).

Aber genug der Vermutungen und Spekulationen. Vielleicht habe ich auch die Pointe einfach verfehlt.
In jedem Fall nützt es niemandem was, wenn ich aus
Furcht vor Irrtum und unnötig hartem oder sanftem
Urteil bei tausendmaligen "Drüberreflektieren" dann
die dehnbarste Form des Ausdrucks wähle und meinen
ursprünglichen Eindruck für alle unkenntlich mache.
Ich glaube, dass man so mindestens die Spontanreaktion eines Lesers kennenlernt. :) In diesem Sinne schicke ich meinen Kommentar ohne weitere Überlegung, Überarbeitung, alles Überstehende, ab.
Und sorry, dass ich mich in letzter Zeit hier so verschwiegen habe.

Valivarius - 5. Jan, 18:11

@meine eigene Meinung

Ich muss mir nun selbst widersprechen.
Die Willkürlichkeit der Orte habe ich völlig überbetont: Es gibt einen Wechsel der "Wessen", den ich zuvor nicht gesehen hatte. Es geht jedenfalls mindestens um zwei A r t e n von Zugehörigkeit zum Subjekt, wenn nicht um zwei Subjekte (hängt wohl von der Weltsicht des Lesers ab). Und diese Bewegung ist kreuzend entgegen der Klammerung, die Urian schon genannt hatte. Es kreuzt sich Natur mit Menschenwerk und die dazugehörigen Empfindungen bilden die Klammer. In diesem Sinne halte ich das Gedicht nun für abgeschlossen.
(Bei meinen Meinungsschwankungen ist es aber nicht
ausgeschlossen, dass ich das ein oder andere gegen
diese Meinung noch einwenden werde. ^^)

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