Der schöne Mann

Der schöne Mann, den ich dort drüben sehe, verdient eine schöne Frau an seiner Seite. Ich erwarte, dass sie hinter den Bäumen hervortritt, unter denen er auf einer Parkbank platzgenommen hat. Bis sie erschienen ist, bleibt ihm noch Zeit, in einem Buch aus seiner Jackentasche zu blättern. Für diesen Augenblick ist er in Schutz genommen vor der großen Leistung, die die Welt von ihm erwartet, nämlich der schöne Mann einer schönen Frau zu sein. Besäße er seine Schönheit nicht wie einen Mantel, der ihm irgendwann umgehängt wurde, könnte er den Dingen gelassener begegnen – niemand würde einen Anspruch an ihn stellen oder in Gedanken eine passende Ergänzung für ihn suchen. Plötzlich gäbe es etwas Rechtmäßiges, das man ihm vorenthalten könnte Da aber wer nicht schön ist auch nicht immer lieben darf, könnte ihm plötzlich etwas Gewohntes vorenthalten werden. Er weiß nicht, ob ihn das stören würde Ich nehme an, dass ihn das stören würde. Wenn ich der schöne Mann dort drüben wäre, würde ich wohl eine schöne Frau verdienen.
Valivarius - 2. Aug, 17:38

@Pierre Lachaise

was für mich deutlich wird: Der schöne Mann ist eine
Art Produkt des Betrachters, der seine eigenen
Vorstellungen vom Lauf der Dinge mit der
nüchternen Wirklichkeit vermengt.
Wenn das stimmt: Was soll diese Geschichte zum
Ausdruck bringen oder welchen Zustand beim
Leser bewirken?
Das größte Problem stellt für mich der Satz
"Plötzlich gäbe es etwas Rechtmäßiges, das man
ihm vorenthalten könnte."
Was ist dieses Rechtmäßige und inwiefern kann
man es ihm vorenthalten, wenn es rechtmäßig
ist und um wessen Recht geht es hier überhaupt?
Es scheint sich hier um eine Art Klagelied des
Betrachters in Prosaform zu handeln, wenn ich
vom ersten Eindruck urteilen darf.
Aber das Wesentliche, was transportiert werden
soll, konnte ich bisher nicht enthüllen.

Pierre Lachaise - 2. Aug, 22:52

@valivarius

vielen dank, das ist sicher ein sehr sinniger kommentar, in dem ich einiges wiederfinde, das ich vorhatte. ich selbst finde den satz mit dem "rechtmäßigen" irgendwie misslungen und wollte ihn eigentlich gerade noch einmal ändern, aber da stand schon der kommentar hier. trotzdem werde ich ihn noch einmal umformulieren, um ein besseres gefühl zu haben und mich zu erinnern, was er bedeuten soll.

Valivarius - 3. Aug, 05:25

Eine Art Anregung

Das Problem, das ich jetzt etwas genauer sehe ist im Grunde die gezwungene Umbiegung zum
Erzähler zurück. Das ist ein allgemeiner Satz, eine Sentenz des Erzählers, die nicht
am Charakter des Schönlings erwächst, sondern aus dem Erzähler selbst (durch Umstände und gezielte Beobachtung nicht stark genug dazu angeregt) stammt:

"Da aber wer nicht schön ist auch nicht immer lieben darf, könnte ihm plötzlich etwas Gewohntes vorenthalten werden."

Hier entsteht eine enge Beziehung zum Erzähler, als wäre er es selbst, der zweifeln würde (der Übergang müsste etwas flüssiger erfolgen und das geht nicht wegen dem
allgemeinen Satz zuvor):

"Er ist sich nicht sicher, ob ihn das stören würde."

Bis zur „passenden Ergänzung“ funktioniert es noch hervorragend, aber
die Wendung gelingt nicht. Es wäre super, wenn du die beiden Personen noch mehr
zu einer Art antithetischen Einheit (klingt komisch) vereinen kannst, wie du es, wie mir scheint, schon ansatzweise getan hast.
Dem Erzähler fehlen offenbar die Eigenschaften des Mannes und dem Mann die Unruhe
des Erzählers (weshalb er gelassen lesen kann). Wenn du also den Mann in seiner Gegensätzlichkeit zum Erzähler als Anlass für die Äußerungen des Erzählers nimmst und dann diese Entwicklung von „Da ist ein schöner Mann!“ zu „Verdammt noch mal, wär ich gern der Mann da vorne!“ oder „Scheiße das fehlt mir ja alles!“ durchziehen würdest, fände ich das sehr spannend. Ich weiß allerdings nicht, ob ich in meinen Überlegungen nicht zu weit vom Text abgewichen bin.
Den fremd- und selbstbezogenen Vorwurf des Erzählers finde ich übrigens sehr gut. Vielleicht ließe sich der
durch das ein oder andere Wort verstärken.
Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass die Steigerung
des vorwurfhaften und scheinbar sogar beleidigten Erzählers
den Text in seiner Wirkung verstärken könnte.

Ich hoffe, dass ich keinen Unsinn geschrieben habe,
wollte das nur vor dem Schlafengehen niederschreiben,
sonst hätt ichs vergessen.

Pierre Lachaise - 4. Aug, 21:51

@Herr Urian

Ich habe jetzt ein paar Änderungen/Streichungen in deinem Sinne vorgenommen. Gefällt der Text dir so besser?

herr_urian - 4. Aug, 22:13

@pierre

Ja!
albannikolaiherbst - 20. Sep, 15:56

@Pierre Lachaise zu Der schöne Mann

Erst einmal: das ist eine ganz feine Idee, auch, weil sie über Empathie mit einer literarischen Figur „arbeitet”, die man entwickeln will.

Der schöne Mann, den ich dort drüben sehe, verdient eine schöne Frau an seiner Seite.
Erzählerischer einsteigen vielleicht? „Dort hinten bei den Bäumen sitzt ein Mann auf einer Parkbank. Wie schön er ist! Er verdient eine schöne Frau an seiner Seite.”
Ich erwarte, dass sie hinter den Bäumen hervortritt, unter denen er auf einer Parkbank platzgenommen hat. Bis sie erschienen ist, bleibt ihm noch Zeit, in einem Buch aus seiner Jackentasche zu blättern. Für diesen Augenblick ist er in Schutz genommen vor der großen Leistung, die die Welt von ihm erwartet, nämlich der schöne Mann einer schönen Frau zu sein.
Der nämlich-Satz ist imgrunde schon unnötig, da das Thema ohnedies wieder aufgenommen wird. Erzählen Sie besser, wie er in dem Buch blättert, und geben Sie ihm vielleicht auch ein Gesicht, Kleidung usw. Lassen Sie ihn etwas nervös sein, denn:
Besäße er seine Schönheit nicht wie einen Mantel, der ihm irgendwann umgehängt wurde, könnte er den Dingen gelassener begegnen – niemand würde einen Anspruch an ihn stellen oder in Gedanken eine passende Ergänzung für ihn suchen.
Die Streichung aus gleichem Grund wie vorher. Der nun folgende Satz ist unschön verquer, auch der Sinn erschließt sich mir nicht:
Da aber wer nicht schön ist nicht immer lieben darf, könnte ihm plötzlich etwas Gewohntes vorenthalten werden. Ich nehme an, dass ihn das stören würde.
Und die Pointe „hängt”:
Wenn ich der schöne Mann dort drüben wäre, würde ich eine schöne Frau verdienen.

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